Mit einer guten Patientenvorstellung kannst Du die Behandlung Deiner Patienten verbessern, Deine Karriere fördern und Deine Kollegen erfreuen.

In unserem klinischen Alltag stellen wir ständig Patienten vor. Der Diensthabende berichtet über die Neuaufnahmen, Du stellst bei der Visite der Oberärztin Deine Patienten vor, Du formulierst Fragen an den Konsiliararzt oder übergibst Deine Patienten vor dem Urlaub an einen Kollegen. Jedes Mal möchtest Du in Deinem Gegenüber ein plastisches, zutreffendes Bild Deines Patienten erzeugen.

Es lohnt sich, diese Tätigkeit zu perfektionieren. Für eine gute Behandlung der Patienten ist es wichtig, dass Deine Mitstreiter klare Angaben und Fragestellungen bekommen und sie auch verstehen. Ein Arzt, der routiniert, zügig und anschaulich die Situation und Problematik seiner Patienten darstellen kann, wird als kompetent wahrgenommen und kommt beruflich weiter. Deine Kollegen freuen sich, wenn Du ihre Zeit mit präzisen, zielgerichteten Angaben nutzt (oder vielmehr ärgern sie sich über andere Kollegen, die ihre Zeit mit unklarem, unüberlegtem Geschwafel verplempern).

Und manchmal kann Dir eine Patientenvorstellung auch bei Deiner eigenen, ärztlichen Tätigkeit helfen: wenn Du einen schwierigen, unklaren Patienten hast, stell ihn in geordneter Form einer Kollegin vor. Bisweilen bringt allein das Dich schon auf neue Ideen.

Für eine gute Patientenvorstellung gibt es ein paar Regeln und ein paar bewährte Tricks. Mit diesem Rüstzeug verliert jede Oberarztvisite ihre Schrecken, mit der Zeit kann es sogar Spaß machen, seine Patienten zu präsentieren.

Was ist der Anlass der Vorstellung?

Verschwende zuerst einen kurzen Gedanken daran, warum Ihr über Deine Patientin sprecht. Ob Du Deinen Notfallpatienten der Intensivärztin vorstellst, bei der Chefvisite einen kurzen Überblick über die durchgeführte Diagnostik und Therapie gibst, dem neurologischen Konsiliarius Deine Fragestellung erläuterst oder mit Deinem Oberarzt einen schwierigen Fall durchsprichst, jeweils wird Deine Darstellung des Patienten anders sein.

Tu Deinem Gegenüber den Gefallen, ihm das zu erzählen, was ihn interessiert. Beim morgendlichen Bericht des Diensthabenden wollen die Kollegen nur wissen, was sie auf der Station erwartet und welche Dinge sie ggf. sofort unternehmen müssen. Der Oberarzt möchte bei seiner Visite auch die Details kontrollieren, während die Chefin evtl. nur einen groben Überblick bekommen will. (In Deiner Klinik kann es natürlich auch ganz anders aussehen.)

Ein Bild vom Patienten

Charakterisiere in knappen Worten die wichtigsten Eckdaten Deines Patienten. Dazu gehören

  • Name. Manche können sich Namen gut merken und speichern diese mit der Geschichte des Patienten ab. Ich vergesse Namen leider schnell. Aber immerhin will man den Patienten ja anreden können.
  • Alter. Fast noch wichtiger als der Name. Krankheiten haben unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten im 1., 10., 30. oder 80. Lebensjahr, Therapieoptionen werden bei Greisen anders eingeschätzt als bei jungen Leuten. Falls Du das genaue Alter gerade nicht im Kopf hast, reichen Cirka-Angaben auch: “Ein etwas über 80-jähriger …”
  • evtl. ein Stichwort zur Vorgeschichte. Wenn Vorerkrankungen die Situation wesentlich prägen, sollte man sie erwähnen: “73 jähriger, bettlägriger Patient nach ausgedehntem Apoplex vor 2 Jahren …”, “31 jähriger Typ-1-Diabetiker”, “45-jährige Frau mit Down-Syndrom” usw.
  • evtl. Versicherungsstatus. Kann je nach Kontext auch wichtig sein.

Das Wichtigste zuerst

Rechne damit, dass die Aufmerksamkeitsspanne Deiner Kollegen begrenzt ist. Auch wenn die Erkrankung eine lange und vielleicht sogar relevante Vorgeschichte hat, sag zuerst, was der Patient jetzt hat. Gib ein griffiges Schlagwort, unter dem sich jeder Anwesende etwas vorstellen kann. Das kann eine fertige Diagnose sein (“Radiusfraktur loco typico”, “primärer Hyperparathyreoidismus”), das kann aber auch genauso das im Vordergrund stehende Symptom sein (“Hämatemesis und Teerstuhl”, “Abklärung ungewollter Gewichtsverlust”). Falls das aktuelle Problem ein anderes ist, als das, was zur Aufnahme geführt hat, benenne die Grundkrankheit in einem Nebensatz und stelle dann Deine Fragestellung genauer vor (“… hatte letzte Woche den dritten Zyklus Chemotherapie bei Mamma-Ca und entwickelt seit gestern ein generalisiertes, juckendes Exanthem”)

Verdachtsdiagnosen als solche benennen

Häufig haben Patienten so charakteristische Befunde, dass sie in eine diagnostische Schublade fallen, auch wenn die Diagnose im strengen Sinn noch nicht gestellt ist. Dann nenne die diagnostische Schublade, sag aber auch, das es sich bisher um einen Verdacht handelt.

Manche versuchen irgendeine diagnostische Unvoreingenommenheit zu produzieren, indem sie auch bei klaren Fällen jedes Symptom und jeden Befund aufzählen, um erst ganz am Schluss ihre Verdachtsdiagnose preiszugeben. Mach es Deinen Kollegen leichter.

“Kommt unter dem Bild eines akuten Koronarsyndroms ohne EKG-Veränderungen mit belastungsabhängiger Crescendo-Angina und Dyspnoe; bekannte arterielle Hypertonie und Nikotinabusus.” ist viel klarer und prägnanter als “Seit gestern hat Frau F. retrosternales Druckgefühl und Dyspnoe schon bei kleinen Belastungen. Eine arterielle Hypertonie wird bei ihr behandelt, sie raucht 20 Zigaretten am Tag. Im EKG sehe ich keine Veränderungen, ich habe aber Troponin mit angefordert.”

Man sollte aber auch nicht der Versuchung erliegen, den ersten Verdacht als fertige Diagnose anzusehen. Gute Diagnostiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Der belastungsabhängige Thoraxschmerz könnte in Wirklichkeit auch atem- oder bewegungsabhängig sein und auf eine Pleuritis oder BWK-Fraktur hindeuten.

Die Befunde in sinnvoller Reihenfolge

Im Studium haben wir eine strenge Abfolge der Diagnostik gelernt: zuerst Anamnese, dann körperlicher Untersuchungsbefund (Inspektion, Palpation, Perkussion, Auskultation), dann Labor, dann apparative Befunde, zuerst die einfachen, dann die invasiven. Für Deine eigene Systematik ist eine solche Reihenfolge sicher auch sinnvoll.

Wenn Du einen Fall darstellst, nennst Du aber die für das Krankheitsbild interessanten Befunde zuerst: “… kam mit einem frischem Vorderwandinfarkt, in der Coro wurde ein Verschluss des RIVA rekanalisiert und mit Stent versorgt.”

Nebenerkrankungen, die mit dem aktuellen Problem in Zusammenhang stehen, werden zuerst genannt. So ist eine mäßige Niereninsuffizienz beim akuten Koronarsyndrom relevant (Kontrastmittel!), bei einer Metallentfernung eher nicht.

Beschreibe zuerst die pathologischen Befunde, die zur Diagnostik beitragen; die unauffälligen Untersuchungsergebnisse kannst Du dann noch summarisch aufzählen (“Abdomen-Sono, Gastro und Colo waren unauffällig.”)

Allerdings können auch Negativbefunde im Einzelfall eine große Tragweite haben. Beim neu entdeckten Bronchial-Ca sind unauffällige Befunde in Abdomen-Sono, Skelett-Szinti und Schädel-CT sehr wichtig und gehören in der Falldarstellung an entsprechend prominente Stelle.

Anamnestische Angaben zeitlich einordnen

Jedem ist klar, dass Bauchschmerzen seit drei Stunden anders behandelt werden, als Bauchschmerzen seit drei Jahren. Deshalb sag immer dazu, wie lange eine Symptomatik besteht. Du brauchst i.d.R. nicht präzise zu sein. Eine Angabe wie “Seit wenigen Tagen/Stunden/Wochen …” ergibt häufig ein ausreichend klares Bild.

Immer wenn Du “Zustand nach” sagst, mach irgendeine Zeitangabe dazu. “Z.n. CHE vor 5 J.” ist in aller Regel irrelevant; “Z.n. CHE vor 2 Wochen” kann die diagnoseführende Angabe sein. Das gilt für alle größeren Operationen, aber auch Vorerkrankungen (“Z.n. Alkoholabusus bis vor 10 Jahren” vs. "… bis vor 10 Tagen") Dabei ist es völlig unwichtig, ob die Pankreatitis 1993 oder 1994 war. Es geht nur darum, ob die OP/Erkrankung die aktuelle Krankheit beeinflussen könnte oder nicht. “Z.n. Hodgkin-Lymphom in den neunziger Jahren”, zur Not auch “… vor vielen Jahren” reicht völlig aus.

Kleiner Exkurs: Es kann Dich viel Zeit kosten, wenn Du bei der Anamnese die Zeitpunkte all der vielen Voroperationen erfragst. Wenn mein Patient langwierig überlegt, wann er genau an der Galle operiert wurde, frage ich direkt “War es dieses Jahr?”, und bekomme dann meist schnell eine verwertbare Antwort (“Nein! Das ist doch schon über zehn Jahre her!”) Und wenn ich dann auch noch nach der Schilddrüsen- und der Knie-Operation frage, weiß mein Patient schon, welche Art von Information ich will. (“Und die anderen Operationen sind auch schon so lange her?” “Nein, der Leistenbruch war letztes Jahr.”)

Benenne auch unklare oder nicht ins Bild passende Befunde

Verdachtsdiagnosen leiten unser diagnostisches Vorgehen und nach meiner subjektiven Schätzung treffen mindestens 80% der Verdachtsdiagnosen auch zu. (Wird im Lauf der Berufsjahre mehr.) Aber lass Dich nicht verleiten, aus dem Rahmen fallende Befunde zu ignorieren. Auch wenn Du einen Befund oder eine anamnestische Angabe (noch) nicht deuten kannst, könnte er jemand anderen evtl. auf die richtige Fährte bringen.

Auch wenn ein Befund unerklärt bleibt, sollte er als unerklärter Befund gewürdigt werden. “Unklare AP-Erhöhung mit unauffälligen Befunden in Abdomensonographie und Skelettszintigraphie” ist für keinen Arztbrief eine Schande. Deiner Nachfolgerin, die fünf Jahre später den gleichen Befund erhebt, kannst Du so viel Mühe ersparen.

Was will der andere wissen?

Mit ein bisschen Erfahrung weißt Du, nach welchen Laborwerten Dein Oberarzt immer fragt oder was das Steckenpferd Deines Chefs ist. Wenn Dein Chef Diabetologe ist, ist es klug, den Wert des HbA1c zu wissen, falls er Geriater ist, wirst Du selbstverständlich die häusliche Situation Deines Patienten kennen.

Vielleicht kommst Du Dir auch manchmal doof vor, solche vorgebahnten Reflexe zu bedienen. Aber das ist nicht wichtig. Wenn Du die Fragen Deines Oberarztes beantwortest, noch bevor er sie gestellt hat, hast Du vieles von dem gelernt, was Du bei ihm lernen kannst. Und es geht auch nicht darum, sich lieb Kind zu machen. Wenn Du weißt, was die Leute hören wollen, dann gib es ihnen eben. Sie würden sowieso nachfragen.

Vorbereitung ist alles

Nur die Erfahrensten können einen Patienten schlüssig vorstellen, ohne sich dafür vorbereitet zu haben. Aber in der Regel weißt Du ja, was auf Dich zukommt. Es kann sehr hilfreich sein, kurz vor der Frühbesprechung noch mal die Aufnahmen der Nacht durchzugehen und zu überlegen, wie man sie präsentieren will. Notier Dir einzelne, charakteristische Laborwerte auf Deine Aufnahmeliste. “… eine γ-GT von 356 …” klingt einfach viel professioneller als “… die Leberwerte waren erhöht.”

Vor der Ober-/Chefarztvisite wirst Du sowieso Deine Patienten noch mal durchgehen und kontrollieren, ob die relevanten Befunde an Bord sind. Dabei kannst Du Dir für jeden Patienten auch eine griffige Formulierung überlegen. Wenn Deine Vorgesetzten eine runde Darstellung Deiner Patienten hören, gewinnen sie Vertrauen in Deine Kompetenz und machen Dir weniger Stress.

Falls Du einen Patienten in einer Prüfung oder einer interdisziplinären Konferenz vorstellen musst, solltest Du Dir sogar ein kurzes, schriftliches Konzept mit den wichtigsten Stichpunkten und Untersuchungsbefunden machen (ich mache das heute noch). Wenn Du es nicht gewöhnt bist, vor einer Gruppe von Leuten zu sprechen, stell den Patienten vorher einmal laut Deinem Freund/Spiegel/Kollegen/Teddybären vor, damit Du nachher nicht nach Formulierungen suchen musst. Selbst wenn Du Dir dabei blöd vorkommst, um so entspannter bist Du nachher im Ernstfall.

Wenn Du in einer sehr spezialisierten Abteilung arbeitest (Onkologie, Kardiologie, Neurochirurgie usw.), gibt es bei Euch sicher auch eine charakteristische, oft sehr formalisierte Art Patienten vorzustellen. Hör Deinen erfahrenen Kollegen zu und lerne ein paar Beispielformulierungen auswendig. Man gehört nur dann wirklich zu einer Gruppe, wenn man ihre Sprache spricht.

Die Anderen hören/verstehen nur die Hälfte

Früher habe ich heimlich darüber geschmunzelt, wenn mein Oberarzt nach Dingen fragte, die ich in meiner Patientenvorstellung noch Sekunden zuvor gesagt hatte. Heute merke ich, dass ich als Oberarzt dasselbe tue.

Sei nachsichtig mit Deinen Zuhörern. Deinen Bericht aufzunehmen, zu verstehen und einzusortieren kann anstrengende Arbeit sein. Und spätestens beim vierten Patienten beginnen Details an den Zuhörern vorbeizugehen. Wenn Dir ein bestimmtes Detail wichtig ist, schadet es nicht, das zwei Mal zu erwähnen. (Bitte nicht drei oder vier Mal.)

Deshalb lohnt es sich auch, die Vorstellung abwechlungsreich zu gestalten. Eine monotone Reihe von Patientengeschichten kann sich keiner merken. Sprich so laut, dass keiner Mühe hat, Dich zu verstehen.

Wenn eine Frage gestellt wird, die Du schon beantwortet hast, tu einfach so, als ob Du dieses Detail gerade zum ersten Mal erzählst. Die Wenigen, die das merken, werden es zu schätzen wissen.

Sachlich bleiben

Patientenvorstellung ist Arbeit, keine Unterhaltung. Im Zweifel ist es besser, konzentriert und nüchtern alles Wichtige abzuarbeiten. Humoristische Einsprengsel oder persönliche Ansichten über diesen unmöglichen Patienten oder seine Angehörigen halten eher auf, lenken ab und bringen weder die Patienten noch Euch weiter.

Trotzdem können manchmal charakteristische Details oder auch wörtliche Zitate das Bild vom Patienten plastischer machen. (“Die Patientin kam wegen subjektivem Herzrasen. Im EKG hatte sie einen AV-Block III° mit einer Kammerfrequenz von 38/min.”) Aber übertreib es nicht. Das Ziel ist, den Zuhörern rasch ein plastisches Bild Deines Patienten zu vermitteln.

Wie sind Eure Erfahrungen? Was ist für eine effiziente Patientenvorstellung noch wichtig? Ich freue mich auf Eure Kommentare.